Nachdem ich mir letztens vorgenommen habe, hier nach und nach einige Arbeiten online zu stellen, wird es nun auch mal wieder Zeit.
Der römische Kaiser Claudius (41–54), Nachfolger seines Neffen Caligula, Vorgänger seines Adoptivsohnes Nero, soll laut den antiken Quellen von seinen Frauen und seinen Freigelassenen beeinflusst und regelrecht gelenkt worden sein. Von seiner dritten Frau, Valeria Messalina, heißt es sogar, sie habe ihn nicht nur in vielerlei Hinsicht manipuliert und sein Vertrauen missbraucht, sondern sie habe dies vor allem aus nymphomanem Antrieb getan und nicht aufgrund politischer Agitation. In der modernen Geschichtsforschung werden einige dieser Unterstellungen mit dem Hinweis, dass die senatorische und ritterliche Geschichtsschreibung der kaiserlichen Familie schon von Grund auf nicht sehr wohlgesonnen war, und mit der Untersuchung der Quellen im Hinblick auf hintergründige, politische Zusammenhänge widerlegt. Doch auch eine dem Kaiser sehr entgegenkommende Quellenkritik kann nicht in allen Fällen belegen, ob Messalinas Taten zum Teil nicht doch in ihren sexuellen Trieben begründet lagen; tatsächlich können manche sogar als wahr angenommen werden. Was nun stimmt, ist aus heutiger Sicht schwer zu beurteilen. Die antiken Quellen sind nicht vollständig erhalten, und die vorhandenen bieten durch ihre subjektive Darstellungsweise genügend Spielraum für böswillige Interpretationsansätze.
Dieser Spielraum sorgt seit der Antike für die Rezeption der Messalina als Nymphomanin. 1934 greift Robert Graves dieses Motiv wieder auf. In seinen Romanen I, Claudius und Claudius the God beschreibt er, im Stil einer vermeintlichen Autobiografie, das Leben des Claudius, wobei sich der zweite Band auf seine Zeit als Kaiser – mit Messlina als die Ehefrau an seiner Seite – konzentriert.
In der vorliegenden Arbeit werde ich dieses Buch im Hinblick darauf untersuchen, wie Graves die antiken Quellen für seine Rezeption verwendet hat. Wie ist das Bild der Messalina in den antiken Quellen und wie in der modernen Geschichtsforschung? Wie stellt Graves die Messalina seines Romans dar? Und was ist Graves’ Intention, die Darstellung so zu übernehmen, wie er es tut? Für die Bearbeitung dieser Fragestellungen werde ich zunächst einen Überblick über den Autor und seine Romane schaffen. Im Anschluss darauf ist zunächst eine kurze Darstellung des Claudius der antiken Quellen und der Vergleich dieser mit der modernen Geschichtsforschung notwendig; dem anschließen wird sich eine detaillierte Beleuchtung der Messalina. Schließlich werde ich untersuchen, wie Graves die entsprechenden Textstellen in seinem Roman verwendet. Durch die Untersuchung dieser Teilaspekte wird die Intention des Autors bei seiner Arbeitsweise im Fazit erklärbar sein.
(Ansonsten kann ich allen, die weniger an Wahrheit oder Unwahrheit der Quellen interessiert sind, dieses Buch – das im Deutschen verkürzt in einem Einzelband namens Ich, Claudius, Kaiser und Gott erschienen ist – als kurzweilige Lektüre sehr empfehlen.)
PDF: Der Messalina-Faktor – Claudius’ Antagonistin in der Rezeption von Robert Graves

Der Messalina-Faktor – Claudius’ Antagonistin in der Rezeption von Robert Graves von Carsten A. Dahlmann steht unter einer Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-KeineBearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz.