Ralfis Tag hatte eigentlich ganz normal begonnen. Auf seiner Regenrinne aufgewacht, ließ er zunächst seine weißen Exkremente unter sich fallen, hoffend, dass er damit einen ahnungslosen Passanten treffen würde. Weiße Exkremente?, von einer Dachrinne? Ja, Ralfi war kein gewöhnlicher Wuppertaler Bürger; genaugenommen war er gar kein Bürger. Bei unserem Protagonisten handelt es sich nämlich um eine Taube. Eine Taube?, mag sich der werte Leser fragen; welcher Hirnrissige schreibt denn eine Geschichte über eine miese Luftratte? Doch wir möchten den geneigten Leser um etwas Geduld bitten. Denn Ralfi war keine gewöhnliche Taube. Ralfi war ab jenem besonderen Tag: Der König der Tauben.
Wo waren wir? Achja: Ralfi hatte also vom Dach geschissen – jedoch keinen der Fußgänger erwischt, die an diesem Morgen bereits durch die Elberfelder Innenstadt wuselten. Verärgert flog er daher nach unten auf das kalte Pflaster, um nach ersten Brotkrumen oder anderen kulinarischen Leckerbissen zu suchen, die die Menschen so achtlos fallen ließen. Kaum hatte er jedoch das kleine Vordach verlassen, das er nun seit einigen Monaten sein zu Hause nannte und das er sich mit einigen Artgenossen teilte, als ein großes rotes Etwas genau an der Stelle auf das Dach schlug, an der er sich noch vor wenigen Augenblicken entleert hatte. Ein Schaudern zog durch den Körper unseres gefiederten Freundes. Fast hätte es ihn erwischt. Der Morgen fing ja gut an.
Ralfi wollte sich gerade wieder der Nahrungssuche zuwenden, als er im Augenwinkel bemerkte, wie seine gurrenden Mitbewohner neugierig das rote Ding umlagerten und es untersuchten. Vielleicht wartete dort ja eine besonders leckere Mahlzeit auf ihn. Und womöglich würde er nichts davon abbekommen, sollte er nicht schleunigst seine Ansprüche auf einen Teil dessen unterstreichen. Flink wie ein Fink – wie die Tauben zu sagen pflegen (diese Tiere waren noch nie gut im Konstruieren rhetorischer Figuren gewesen) – schoss er also hinauf aufs Dach, hämmerte mit seinem Schnabel auf die Köpfe seiner Gefährten ein bis das Blut spritzte und nahm schließlich auf dem eroberten Objekt Platz. Wie sich nun herausstellte, war das Geschoss, durch das er fast – im wahrsten Sinne des Wortes – über die Wupper gegangen wäre, erstaunlich weich und bequem. Ja, meine Freunde, unser gefiederter Geselle saß auf einem roten Kissen, einem Kissen, das anscheinend beim Bettenlüften aus einem Fenster und auf Ralfis Wohnstatt gefallen war.
Und da Ralfi Gefallen an der weichen Sitzunterlage gefunden hatte, beschloss er fortan, auf dem Kissen sitzenzubleiben. Die anderen Tauben, zu dumm, um nun selbst noch Anspruch auf die Sitzgelegenheit zu erheben, obgleich sie doch in der Überzahl waren, bestaunten, wie edel es doch aussehe, wenn Ralfi auf diesem Kissen sitze und mit vor Stolz geschwellter Brust in die Menge schaue. Ja, wie ein König gar sehe er aus.
Ein König! Dies gefiel dem eitlen Geflügel, und fortan nannte er sich König Ralf.
Nach einiger Zeit war es Ralfi, bedingt durch seine enorme Authorität, gelungen, einen kleinen Hofstaat zu etablieren. Seine neuen Untertanen taten alles, um ihren König glücklich zu machen. Sie brachten ihm nicht nur Brotkrumen, sondern auch Dönerreste, Salatblätter, Schokokrümel, außerdem kleine Oliven, Hamburger, Gebratene Nudeln mit süß-saurer Sauce, zudem Anchovis, Knuspermüsli, Hackbraten, ja sogar ganze Grillteller, wahlweise mit Pommes Frittes oder Kroketten, sowie Hackfleisch-Lauch-Suppe und sogar das ein oder andere mal einen frisch erlegten Pavian. Und nicht nur für seinen gefüllten Magen wurde gesorgt. Auch Drogen und geflügelte Prostituierte sollte unser Held bekommen. Manchmal verbrachte Ralfi ganze Nächte mit Black Jack und Nutten; freilich bei einem guten Glas Whisky. Für alles wart gesorgt. Und so lebte König Ralf glücklich bis an sein Ende.*
* Wobei sein Ende übrigens durch einen dreiachsigen Linienbus der WSW verursacht wurde. Die rechtsseitigen sechs Zwillingsreifen zermalmten seinen kleinen Körper, bis von unserem geliebten Helden nur noch ein matschiger roter Fleck übrig war. Natürlich übernahm sofort sein alter Erzfeind Daniel den Thron. Niemand erhob Einspruch.
Der König ist tot, es lebe der König! 😀
Es gibt jetzt auch eine Studi-VZ-Gruppe, die den guten Ralfi ehrt. 😀
Ja, die Gruppe heißt „Der König der Tauben“ und wurde von der kleinen Gothicfrau erstellt. Fans sind gerne willkommen. 😉
Nette Geschichte!